Enjoy Künstlerbücher enjoy insider, 19. Juni 2021 bis 18. April 2022, mumok

Anlässlich der Ausstellung Enjoy. Die mumok Sammlung im Wandel präsentiert die mumok Bibliothek Künstlerbücher, die während der letzten zehn Jahre erworben wurden, und setzt diese in Dialog mit historischen Exemplaren, die sich schon länger in der Bibliothekssammlung befinden.

Von Simone Moser

 

# 1 Ed Ruscha, Twentysix Gasoline Stations, 1963

Manche Künstlerbücher schreiben Geschichte, wie Twentysix Gasoline Stations von Ed Ruscha. Und manche Künstlerbücher werden von anderen zitiert, interpretiert und appropriiert, wie ebendieses.

Ruscha bedient sich in seinem ersten Künstlerbuch simpler Dinge. Thema, Material, Motiv, Inhalt – alles banal, alles alltäglich. Dennoch – oder gerade deshalb – ist es ihm gelungen, den Prototyp eines Künstlerbuchs zu generieren. Die Künstlerbücher der 1960er- und 1970er-Jahre stellten einen wesentlichen Beitrag zur Demokratisierung der Kunst dar, sie avancierten zu Transportmitteln avantgardistischer Ideen. Um ein breites Publikum zu erreichen, mussten sie einfach herzustellen und günstig zu distribuieren sein.

Twentysix Gasoline Stations ist ein sachlich konzeptuelles Fotobuch mit autobiografischen Bezügen. Es zeigt Fotos von Tankstellen auf der Route 66, die Ruscha auf seinen regelmäßigen Fahrten zwischen Kalifornien und seiner Heimat Oklahoma in Serie knipste. Das kleine Büchlein hat keinen Text, es besteht „nur aus Bildunterschriften (Marke und Standort der Tankstelle)“, wie Henry Hopkins anlässlich der ersten Ruscha-Retrospektive lästerte.“(1)

Ganz so nichtssagend, wie Hopkins es darstellt, sind die Fotos der Tankstellen allerdings nicht. Ruscha verfolgt ein konkretes Konzept, das, noch vor den ersten Produktionsschritten, auf den wortmelodiösen Titel ausgerichtet war.

Auswahl, Abfolge und Anordnung der Abbildungen haben einen narrativen Verlauf, der einer geografischen, zeitlichen und thematischen Logik folgt. Der Künstler wählte die Tankstellen – Phänomene der Massenkultur und zugleich fixe Orientierungspunkte auf der Route – akkurat aus seiner umfangreichen Fotosammlung aus. Er verwarf die exzentrischen, die auffälligen, und variierte die Formate der Abbildungen, von der Doppelseite bis zur Blatthälfte.

Vom Standpunkt traditioneller Fotoästhetik aus betrachtet, machen die einzelnen Aufnahmen einen mehr oder weniger misslungenen Eindruck – zu viel Leerraum, ungünstige Perspektiven, mangelnde Kontraste. Jedoch, argumentiert Ruscha, nicht die Fotografie, sondern die Tankstelle selbst sei das Kunstwerk.(2)

Der Preis des Buches war relativ billig angesetzt. Eine Annonce, die Ruscha im März 1964 in der Kunstzeitschrift Artforum schalten ließ, um die Zurückweisung des Buches durch die Library of Congress öffentlich zu thematisieren, kolportierte einen Preis von drei US-Dollar. Der Preis wurde bewusst niedrig gehalten, damit das Buch für jede(n) erschwinglich war. Schon bald aber avancierte Twentysix Gasoline Stations zu einem Kultobjekt und erzielt heute einen Verkaufspreis von rund 3.000 Euro.(3)

Twentysix Gasoline Stations war nicht nur Ruschas erstes Buch, es war der Start zu einer Serie von insgesamt 16 Künstlerbüchern. Sein Erscheinen löste 1963 eine wahre Kettenreaktion an Buchveröffentlichungen aus, die sich auf Ruschas Werk beziehen. Alle hier erwähnten Bücher sind Teil der Sammlung der mumok Bibliothek. Zahlreiche weitere Referenzbücher des bibliophilen Œuvres von Ed Ruscha – Hommagen, Überarbeitungen und Nachahmungen – sind in der Publikation Various Small Books nachzulesen.(4)

Ed Ruscha
Twentysix Gasoline Stations
1963
3. Auflage, Los Angeles 1969

 

Michalis Pichler, Twentysix Gasoline Stations, 2009

Nach dem Fall der Mauer installierte die französische Ölgesellschaft Total in der einstigen Deutschen Demokratischen Republik ein dichtes Filialnetz von Tankstellen. Inspiriert von Ed Ruschas Künstlerbuch Twentysix Gasoline Stations fotografierte Michalis Pichler die Tankstellenkette und schuf damit eine Hommage an seinen berühmten Vorgänger. Pichler appropriiert das historische Buchkonzept, sodass das Äußere seines Buches dem Original zum Verwechseln ähnlich sieht. Inhaltlich aber ist seine Version ein modernes Update, das 26 Tankstellen zeigt, die identisch in der farbenfrohen CI des Konzerns ausgeführt sind. Mit dem letzten Bild wird Pichlers humoristischer Ansatz offensichtlich: Eine [Pichlers] Hand hält einen Zettel; darauf zu lesen ist das Statement Ruschas, in welchem er uns erklärt, dass die „exzentrischen Tankstellen“ die ersten gewesen seien, die er weggeworfen habe. Untertitelt wird das Foto mit den Worten: „Some words in a line instead of some missing stations.“

Michalis Pichler
Twentysix Gasoline Stations
“greatest hits”, Berlin, und Printed Matter, Inc., New York 2009

 

Jeffrey Morger, Twentysix Gasoline Stations, 2013

Eine weitere Hommage an Ruschas Künstlerbuch kommt von dem Schweizer Künstler Jeffrey Morger, der seine Version der Twentysix Gasoline Stations Ed Ruscha, Marcel Duchamp und Andy Warhol widmet. Morger hält sich weitgehend an die Vorlage; die simpel ausgeführte Heftbindung verzichtet allerdings auf den transparenten Schutzumschlag. Thema und Inhalt sind Tankstellen, die der Künstler in der Stadt Zürich fotografiert hat. Im Gegensatz zu Michalis Pichlers scharf konturierten und zentralperspektivisch aufgenommenen Tankstellenbildern wirken Morgers Farbbilder zum Teil verschwommen und ebenso gewollt amateurhaft, wie es die Snapshots Ed Ruschas waren.

Jeffrey Morger
Twentysix Gasoline Stations 
Eigenverlag, Zürich 2013

 

Claudia de la Torre, Ten (unknown) Gasoline Stations, 2012

Auch Claudia de la Torres Buch Ten (unknown) Gasoline Stations ist ein Tribut an Ed Ruscha. Die Publikation zeigt mit zehn anonymen Tankstellen eine Sammlung von Fotografien aus den 1960er-Jahren. Online im Web gefunden, wurden die Fotos von einer Person hochgeladen, die hofft, sie mit Hilfe von User*innen durch folgenden Text zu identifizieren: „Kennt jemand diese Tankstelle und weiß, wo sie war?“

Die Bildunterschriften in de la Torres‘ Buch nennen den Namen des Fotografen, einen geschätzten Zeitraum der Aufnahme sowie die Anzahl der Onlineaufrufe, kennen aber weder das genaue Datum noch den Standort.

Die schmale Publikation von nur 12 Blatt in Schwarzweiß unterscheidet sich in Größe und Format von der originalen Vorlage. Das in einfacher Klammerbindung mit zwei Ösen ausgeführte Heft zitiert Ruschas unverwechselbare Typografie der Titelei am Cover.

Claudia de la Torre
Ten (unknown) Gasoline Stations
Backbone Books, Berlin 2012

 

Stefan Oláh und Sebastian Hackenschmidt, Sechsundzwanzig Wiener Tankstellen, 2010

Mein letztes Beispiel, das Ruscha referenziert, kommt aus Wien. Der Fotograf Stefan Oláh und der Kunsthistoriker Sebastian Hackenschmidt richten ihr Augenmerk auf Wiener Zapfsäulen der besonderen Art. Die beiden zeigen 26 städtische Tankstellen, die sich durch ihre einzigartige Lage im Hinterhof, auf dem Gehsteig, im Erdgeschoss eines Gemeindebaus oder durch ihre außergewöhnliche Handhabung – tankende Autos etwa werden in der Champion-Tankstelle mittels einer Drehbühne in Position gebracht – auszeichnen.

Die beiden Autoren behandeln das Thema aus einer gewissen Gegenposition zu Ruschas Konzept. Oláhs professionelle Fotografien und seine komponierten Dokumentationen urbaner Architektur verhalten sich komplementär zu den Schnappschüssen des „Amateur-Knipsers“ Ruscha; ihre Motive sind so „exzentrisch“, dass Ruscha sie wohl aussortiert hätte. „Aber die typischen Wiener Tankstellen sind eh anders“, ist im Text des Buches nachzulesen. Die Sechsundzwanzig Wiener Tankstellen sind übrigens in einer zweiten Auflage auf 34 angewachsen – „eine angenehme und gewollte Überschreitung“, wie Sebastian Hackenschmidt meint.

Stefan Oláh und Sebastian Hackenschmidt
Sechsundzwanzig Wiener Tankstellen
1. Aufl. 2010 / 2. Aufl. 2011
Roma Publications, Amsterdam

 


1 Phyllis Rosenzweig, „Ed Ruschas Künstlerbücher“, in: Neil Benezra, Kerry Brougher, Ed Ruscha, Zürich/Berlin/New York 2002, S. 179.

https://oe1.orf.at/artikel/248595/26-Wiener-Tankstellen

3 Je nach Auflage und Vorhandensein einer Signatur kann der Preis auch auf 15.000 US-Dollar steigen.

4 Jeff Brouws, Wendy Burton, Hermann Zschiegner (Hg.), VARIOUS SMALL BOOKS, Referencing Various Small Books by Ed Ruscha, Cambridge, MA, 2013.