New York (awj) - Das Verhältnis zwischen Kunst und Wirtschaft ist seit jeher von handfesten Interessen geprägt. In der Symbiose gilt das Tauschprinzip: Ansehen gegen Geld. Dabei kokettiert der Künstler gerne mit Konsumkritik oder - noch besser - mit blanker Provokation. Und der Unternehmer nimmt das auch gerne in Kauf, solange der Prestige-Effekt die Investitionen entlohnt. Wie schnell aber der Punkt erreicht sein kann, an dem ein Kunstwerk vermeintlliche Geschäftsinteressen stören kann, zeigte ein Vorfall im Zusammenhang mit einer Ausstellung des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes (Daad) in den Räumlichkeiten des Goethe-Instituts in New York.
Die Ausstellung umfasste unter anderem auch die Installation "ny garbage flag profile" des in Berlin geborenen Künstlers Michalis Pichler (31). Das Werk besteht aus Fundstücken und zeigt die US-amerikanische Flagge in allen Variationen. Als Exponat mit "Prozesscharakter" nimmt es deutlich mehr Raum ein, als herkömmliche Kunst. Zum Konflikt zwischen den Interessen kam es, als sich am 20. Mai herausstellte, dass die Räume im Goethe-Institut zeitgleich an eine ortsansässige Firma vermietet worden waren. Den Herren von "BrunelliNeri Productions Ltd.", die amerikanischen Opernsänger nach Europa vermitteln, erschienen die repräsentativen Räume des Goethe-Instituts perfekt für einen Empfang geeignet - bis auf „ny garbage flag profile“. Denn die Tische eines High-End-Pasta-Büffets sollten sich direkt neben Pichlers patriotischen Pizzaschachteln erheben. Dem Kunst- und Geschmacksempfinden eines anspruchsvollen Publikums war das anscheinend nicht zuzumuten, noch weniger wohl den Zielen des anstehenden Fundraising-Events. Nach einer Diskussion mit Kurator Stefan Altevogt vom Daad und dem Künstler, der sich weigerte, die Integrität seines Werkes zu verletzen, griff man beherzt zu und verbannte die provokante Flaggenparade aus dem Sichtfeld hochkarätiger potentieller Kulturförderer und zukünftiger Geschäftspartner. So nahm der Prozesscharakter des Exponats einen eigenwilligen und kaum beabsichtigten Verlauf: Die eilig zusammengerafften Bestandteile landeten vorübergehend in einer Herrentoilette im Keller des Instituts.
Vom Künstler wurde dabei per Digitalkamera nicht nur dokumentiert, wie ästhetische Vorstellungen von Eventmanagern in hemdsärmelige Handlungen münden können. Der Vorfall zeigt auch, welche heimlichen Beweggründe zur Selbstzensur in einer Gesellschaft führen können. Hier ist es - neben der Platzproblematik - vor allem die Furcht der Geschäftswelt, vermeintliche patriotische Empfindsamkeiten der Kunden zu verletzen. Eine offzielle Stellungnahme des für die Ausstellung verantwortlichen Daad war zu diesem Vorgang nicht zu erreichen.
Martin Morcinek, "Kunst und Kunden - Zensur im New Yorker Goethe-Institut?," Amerikawoche, June 9, 2003, 11.